Social Distancing ist omnipräsent. Eigentlich eine Antithese, wenn man es genau nimmt. Distanzieren klingt nicht nach einem sozialen Konzept. Ist es aber. Weltweit tragen Menschen Masken um sich zu schützen vor einem gemeinsamen Gegner. Sich einen Feind zu teilen überbrückt Differenzen. Während die Großeltern in unserem Alter in den Krieg ziehen mussten, ist unser Los „stay the fuck home“. Verglichen ist das natürlich eine sehr viel leichtere Aufgabe. Aber wie der Psychologe Victor E. Frankl einmal feststellte, füllt unser Leid uns komplett aus, unabhängig vom „objektiven“ Schweregrad. Die Ungewissheit der Zukunft und vor allem ihre Unplanbarkeit macht uns zu schaffen. Wieso jetzt dieser ganze Vorspann von Tatsachen, die eh schon alle wissen? Weil der heutige Song erschreckend gut auf die aktuelle Lage passt.

Pforzheim international
Lemon Tree von der deutschen Band Fools Garden ist ein sogenanntes „One-Hit-Wonder“. Die Gruppe aus Pforzheim konnte an den Erfolg ihres Songs, den sie 1995 veröffentlichten, nicht mehr anknüpfen. Weltweit verkaufte sich die Single knapp eine Million mal. In Deutschland, Neuseeland und Norwegen erhielt Lemon TreePlatin Status. 1997 erhielt Fools Garden einen Echo in der Kategorie Nationaler Newcomer des Jahres.

Unpünktliche Freundin
Der Sänger der Gruppe Peter Freudenthaler berichtete in einem Interview mit dem MDR-Fernsehen, dass er das Lied Lemon Tree innerhalb von 20 Minuten an einem Sonntagnachmittag geschrieben habe, während er auf seine Freundin wartete.
Es war so wie der Song anfängt. Es war Sonntagnachmittag, ich saß in meinem damaligen Schlafzimmer, da stand das Keyboard und das Klavier und hab auf meine Freundin gewartet. Und die kam halt nicht.
-Peter Freudenthaler, 2015
Tatsächlich wählte er den Zitronenbaum nur wegen dem wohlklingenden Begriff und weniger, weil er irgendetwas bestimmtes damit ausdrücken wollte. Er hoffe inständig, dass keine Schüler jemals dieses Lied interpretieren müssen. Das macht ihn auf jeden Fall sympathisch.
Karlsruher Bier
Die Verbreitung von Lemon Tree und damit auch der Beginn der Erfolgsgeschichte, verdankt Fools Garden dem Radiomaderator Matthias Matuschik, der die Gruppe in einem Pub spielen hörte. Bei einem anschließenden Bier in der Karlsruher Altstadt überzeugte er die Gruppe den Song im Programm des SWF spielen zu dürfen. Schon nach der ersten Ausstrahlung riefen zahlreiche Zuhörer begeistert an und wollten wissen, wer da singt. Nicht lange und die Plattenfirma Intercord bot Fools Garden einen Vertrag an, den diese im November 1995 unterschrieben. Zwei Jahre hält der Erfolg an, dann war es wieder vorbei.

Isolation tut mir nicht gut
Die Atmosphäre von Lemon Tree, um jetzt doch so etwas wie eine Interpretation zu starten, spiegelt die Trägheit eines unspektakulären Tages wider. Und davon gibt es grade für viele einige. Wir hängen rum, haben nichts zu tun. Obwohl das natürlich nicht so ganz stimmt. Man hat schon etwas zu tun, es gibt sogar mehr als genug Arbeit. Aber genau wie die Bridge von Lemon Tree erkennt:
Isolation is not good for me.
Nach dieser Zeitspanne bekommen wir es immer deutlicher zu spüren: der Mensch ist ein soziales Wesen. Und so sehr man diese Zeit nutzen will und endlich einmal dies oder jenes erledigen, uns ist der Wind aus den Segeln genommen worden. Aber um diesen Text mit positiveren Worten zu schließen, greife ich nochmals auf eine Aussage von Frankl zurück. Er beschreibt den Menschen als Wesen, das sich entscheidet. Wir haben die Macht der Wortwahl. Bezeichnet man die Zeit als verschwendet oder als erholsame Pause? Lemon Tree ist nicht mit der Intention entstanden ein großer Hit zu werden. Es bestand kein Druck jetzt „alles“ rauszuholen, das Maximum auszuschöpfen. Also nehmen wir uns ein Beispiel und hören auf, uns dafür wie wir uns fühlen zu rechtfertigen. Auch vor uns selbst.